600 Jahre amplonianische Stiftung

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Rede des Schulleiters des Amplonius-Gymnasiums, OStD Heinz Pannenbecker, am 6. Mai 2012, auf dem Festakt der Stadt Rheinberg zum Jubiläum „600 Jahre Amplonianische Stiftung“.

Sehr geehrte Damen und Herren,

seitens des Gymnasiums, das den Namen des Amplonius trägt, soll ein Grußwort gesprochen werden.

Da der, an den sich das Gruß- oder besser Dankeswort richten müsste, schon lange nicht mehr unter uns Lebenden weilt, erlaube ich mir, dieses Grußwort umzufunktionieren, um mit Ihnen zusammen aus Sicht der Schule einen Blick auf die Bedeutung des heute hier Gefeierten in der Vergangenheit, der Gegenwart und hoffentlich auch der Zukunft zu wagen.

Dass wir dabei etwas weiter ausholen müssen als bei einem kurzen Grußwort bitte ich schon jetzt zu entschuldigen.

Wenn wir also beginnen mit der schulischen Betrachtungsweise, dann müssen wir feststellen, dass für das Rheinberger Amplonius-Gymnasium alles schon viel früher beginnt, nämlich 75 Jahre vor der Amplonianischen Stiftung, im Jahr 1337: in diesem Jahr wird erstmals die Rheinberger Lateinschule – unsere Ursprungsschule – urkundlich erwähnt. Der erste uns mit Namen bekannte Schulleiter in einer langen Reihe bis zum heutigen Tag ist ein Priester namens Wiricus. Die „Schola Berkensis“ hat fest lokalisierbares Schulhaus in der Nähe der Kirche an der Steege, die am Haus der Jungfer Sophia von Husen vorbeiführt, und es gibt einen geregelten Schulbetrieb in der kurkölnischen Stadt Rheinberg.

Das sind heute 675 Jahre her! (Auch ein „rundes“ Datum!)

1337 dokumentiert also den Beginn der Schule!

Die Bedeutung des Datums, dessen wir heute gedenken, liegt für die Schule woanders: 1412 bedeutet für uns und insgesamt für die Schullandschaft in Rheinberg eine enorme Aufwertung schulischer Bildung, eine Zukunftsperspektive für Schule und Schüler und eine nachhaltige Sicherung der Lateinschule über die Jahrhunderte hinweg.

1412 ist für uns – bitte gestatten Sie das Zitat, denn es ist sehr treffend: – „der große Sprung nach vorn“.

Lassen Sie uns nun gemeinsam einen geographischen Sprung machen, nämlich von unserer kleinen kurkölnischen Zollstätte 400 km weiter Richtung Osten, nach Erfurt, wo sich der Rheinberger Amplonius im Jahr 1392, gerade mal ca. 27-jährig, in die erste Matrikel der Universität einträgt und bald eine akademische Karriere startet (wir haben davon gehört!).

Es ist das Verdienst unseres Amplonius aus Berka, dass er die beiden Punkte – hier das niederrheinische Rheinberg, da die bedeutende Universitätsstadt Erfurt, die durchaus ein geistiges Zentrum Mitteleuropas genannt werden darf – miteinander verbindet. Der 1. Mai 1412 steht symbolisch für einen Brückenschlag zwischen den beiden Städten, oder genauer: zwischen den Institutionen der „Schola Berkensis“ und der „Alma mater Erfordensis“.

Verbindungsstück ist die Amplonianische Stiftung, das Collegium Porta Coeli. Amplonius öffnet die „Himmelspforte“ in Erfurt für Rheinbergs Jugend, bewirkt, dass junge und begabte Rheinberger an der Hierana, der Universität an der Gera, studieren können, stärkt durch sein großzügiges Werk die Rheinberger Lateinschule dauerhaft und fördert die Bildungslandschaft in seiner Heimatstadt durch einen genialen Quantensprung.

Er beginnt auf einmalige und beispielhafte Weise eine Bildungsperspektive, durch welche die Schule vor Ort nachhaltige Aufwertung und Sicherung über die Wirren der Zeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, ja bis in heutige Zeit hinein erfährt.

Denn der Rat der Stadt Rheinberg erhält das Recht, neun Stellen im Erfurter Kolleg des Amplonius an junge Männer aus Rheinberg zu vergeben. Die Lateinschule wird zum Sprungbrett für akademische Laufbahnen.

Allerdings unterwirft Amplonius dieses Recht wichtigen Bedingungen: die Stipendiaten sollen die Reife für ein erfolgreiches Universitätsstudium haben, mindestens fünfzehn Jahre alt und in Rheinberg gebürtig sein.

Da Amplonius weiß, dass seine Vorstellungen in einer kleinen Stadt wie Rheinberg ohne tatkräftige, d.h. finanzielle Hilfe kaum dauerhaft umzusetzen sind, erweitert der edle Spender seine Stiftung um eine Art „Sonderstiftung Lateinschule Rheinberg“: Er schenkt der Stadt Rheinberg 300 Goldgulden mit folgender Maßgabe: die Lateinschule soll davon unterhalten und ein Rektor besoldet werden, der den möglichen Kandidaten der Stiftung das erforderliche Rüstzeug für das Studium in Erfurt vermitteln soll.

D.h. mit heutigen Begriffen gesprochen: die Schüler der Lateinschule sollen durch den qualifizierten und zielführenden Unterricht an ihrer Bildungsanstalt die Hochschulreife erlangen und fit gemacht werden für den Einstiegt in die akademische Welt.

Dies ist individuelle Förderung schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts!

Doch damit nicht genug! Um sicherzustellen, dass dieser Rektor die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, muss er Magister aus dem Erfurter Kolleg sein und vor allem aus Rheinberg stammen. Er muss seiner Aufgabe in der Heimatstadt für vier Jahre nachkommen und kehrt dann zum Abschluss seiner eigenen Studien in die Himmelspforte zurück.

Dies ist Qualitätssicherung à la Amplonius!

Am 20. April 1433 geloben Bürgermeister und Stadtrat dem „magister Amplonius de Bercka in artibus magister et in medicina doctor phisicus“ [1] bis auf ewige Zeiten einen Schulmeister zu besolden „onse kinder to leeren in kunsten ind seden“.

Die Stadtvorderen bekennen sich zur Amplonianischen Bildungsoffensive und geloben ihr immerwährende Unterstützung.

In Rheinberg ist seitdem (und bis in die Gegenwart) eine gute weiterführende Höhere Schule angesiedelt – 150 Jahre vor der Gründung des Adolfinums im nahen Moers! Diese Höhere Schule kooperiert erfolgreich mit einer hervorragenden Universität und einer anerkannten Studienstiftung und bietet so zahlreiche interessante Weiterbildungschancen und Aufstiegsmöglichkeiten.

Im Jahre 1889, mehr als 70 Jahre nach Aufhebung der Universität Erfurt und Schließung des Hauses „Himmelspforte“, schließt auch die „Schola Berkensis“ nach ungefähr 600-jährigem Bestehen ihre Pforten … aber nur für 14 Jahre, denn 1903 wird sie als Rektoratsschule mit humanistischer Lehrverfassung auf Wunsch und Drängen der Rheinberger Bürgerschaft durch Aloys Wittrup erneut ins Leben gerufen.

Der neue Schulleiter erkennt die Bedeutung unseres mittelalterlichen Gelehrten und Förderers. Ganz bewusst sieht er sich mit seiner Rektoratsschule in der Tradition des Amplonius: ein frühes Schulsiegel zeigt das Konterfei des Amplonius de Berka (obwohl niemand weiß, wie er wirklich aussah) und in einem Artikel für die „Rheinberger Zeitung“ anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Rektoratschule im Jahre 1928 weist Aloys Wittrup ausdrücklich auf den großen Sohn Rheinbergs und die segensreichen Wirkungen seiner Stiftung hin.

In seiner „Schulgeschichte der Stadt Rheinberg“ beschreibt Wittrup dann sehr detailliert die tief verwurzelten Beziehungen zwischen Amplonius, der Schule vor Ort, dem Magistrat unserer niederrheinischen Stadt, der Stiftung zur „Himmelspforte“ und der Universität in Erfurt.

Von der Wiedergeburt der Schule im Jahr 1903 an verzeichnet die Chronik der neuen-alten Schule ein nicht immer einfaches und doch stetiges Gedeihen.

Die Schule wächst in vier großen Etappen zu ihrer heutigen Form, – und immer wieder gibt es dabei bewusste Bezüge zu Amplonius, zum Beispiel in der Benennung der Schule: am 20. September 1951 entscheidet die damalige Kultusministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Christine Teusch, dass das städtische Progymnasium in Rheinberg den Namen „Amplonius Progymnasium“ führt.

Amplonius, der die höhere Bildung in seiner Heimatstadt nachhaltig gefördert und ihr eine universitäre Perspektive gegeben hat, bestimmt auch Mitte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts weiterhin die Bildungslandschaft Rheinbergs: Seit 1950 sammelt die Stadt Rücklagen für eine neue amplonianische Stiftung an und kann ab 1952 Stipendien für 6 bis 7 Studierende gewähren.

Am 28. März 1957 schreibt Prof. Dr. Paul Luchtenberg, seinerzeit Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen, der Stadt Rheinberg, dass „das städtische Amplonius-Progymnasium in Rheinberg zu einem altsprachlichen Gymnasium für Jungen und Mädchen mit neusprachlichem Zweig (Vollanstalt) ausgebaut wird, beginnend Ostern 1957 mit Einrichtung der 11. Klasse – OII – .“

1960 wird am Amplonius-Gymnasium mit 19 Abiturientinnen & Abiturienten erstmalig eine Abiturprüfung durchgeführt – Rheinberg ist in den Reigen der Städte aufgestiegen, die ein eigenes Gymnasium aufweisen können, nachdem seine jungen Menschen lange Zeit hindurch nach Beendigung des Progymnasiums zur Erlangung des Abiturs in die Nachbarstädte wechseln mussten.

Seit 1960 haben insgesamt ca. 3.300 Abiturienten am Amplonius-Gymnasium ihre Hochschulreife erlangt.

Das Amplonius-Gymnasium ist mächtig gewachsen: von 8 Schülern der Rektoratsschule im Jahre 1903 bis zu 1.100 am Ende der 70er Jahre. Es werden weitere Ergänzungen zum Schulgebäude errichtet: 1979/80 ein großer Anbau an der Straße, die den Namen des Schulgründers trägt, und dann 1998 ein Haus für die Naturwissenschaften, die lange Zeit als Stiefkinder im Keller hausten.

Und heute? Zu Beginn des neuen Jahrtausends wird die magische Zahl von 1.000 Schülerinnen und Schülern wieder übersprungen. Die Schule öffnet sich nach allen Seiten: die Naturwissenschaften erfahren eine erfreuliche Stärkung, es gibt Kooperationspartner in der Wirtschaft, das Fremdsprachenangebot ist erweitert worden, das Amplonius-Gymnasium hat Partnerschulen im Ausland, begabte Schülerinnen und Schüler erfahren eine besondere Förderung (z.B. durch das Schülerstudium an der Uni Duisburg-Essen), die Schule etabliert sich als musisch-künstlerischer Schwerpunkt in der Stadt, – eine aktive Schulgemeinschaft feiert 2003 „einhundert Jahre lebendige Schule“ und etabliert – zum Andenken an den Namensgeber des Gymnasiums und in Anlehnung an seine Stiftung – einen „Amplonius-Fonds“, mit dem (zugegeben in bescheidenem Rahmen) finanzielle Hilfen für notleidende Schülerinnen und Schüler gegeben respektive begabte SchülerInnen besonders gefördert werden sollen.

Wir am Amplonius-Gymnasium Rheinberg sind heute stolz darauf, den Namen des Mannes zu tragen, der vor 600 Jahren grundlegende Bildungsentscheidungen getroffen hat, die nachhaltig und langfristig gewirkt haben.

Der Appell des Amplonius an die individuelle Bildungsbeflissenheit, an Wissensdurst und Lernfreude, an Leistungsbereitschaft, Motivation und Verantwortungsbewusstsein ist für unsere jungen Amplonianerinnen und Amplonianer Anreiz und Ansporn. Gleichzeitig ist Amplonius mit seinem Einsatz für das Wohl anderer Menschen, mit seinem Willen, nachhaltig Gutes zu initiieren und für die Gemeinschaft Sinnvolles zu bewirken wegweisendes Beispiel und Vorbild für unsere Schülerinnen und Schüler in einer Zeit, in der immer mehr von Egoismus die Rede ist.

Ich komme zum Schluss und möchte dabei – um den Kreis zu schließen – noch einmal zurückverweisen auf die Anfänge.

Anno 1433 haben Stadtrat und Bürgermeister Rheinbergs „für uns und unsere Nachkommen“ feierlich Folgendes versprochen: „Dem Schulmeister sollen wir jedes Jahr bis auf ewige Zeiten 18 Gulden in gutem Rheinischen Gold geben, so wie es vorgeschrieben ist, 9 Gulden innerhalb von 14 Tagen nach Ostern und die anderen 9 Gulden innerhalb von 14 Tagen nach dem Michaelstag.“

Liebe Stadt Rheinberg, seit dem Jahr 2000 leite ich das Amplonius-Gymnasium; das ausgelobte Geld habe ich leider bis heute nicht gesehen (weder in DM noch in Euro).

Ich will sie auch gar nicht haben, denn ich habe einen besseren Vorschlag:

Wie wäre es, wenn die zwischen 2000 und 2012 aufgelaufene Summe (von den vielen nicht gezahlten Gulden für meine Vorgänger möchte ich an dieser Stelle lieber nicht sprechen!) als Grundstock für eine neue Amplonianische Stiftung genommen wird, mit der wir Rheinberger Gymnasiasten sowie Studierende finanziell fördern?

Es gibt immer wieder – und gerade heute – an unserer Schule junge Menschen, die talentiert und motiviert sind, aber aus finanziellen Gründen ihre Ziele nicht anstreben können. Die Geldmittel unseres „Amplonius-Fonds“ reichen hier leider nicht aus, um langfristige Unterstützung zu garantieren.

Nehmen wir also die aufgelaufenen Goldgulden aus dem städtischen Gelöbnis von 1433! Ich bin gern bereit, einen privaten Betrag dazuzulegen, – und wenn dann alle hier im Saal, die zu Ehren des Amplonius gekommen sind, auch etwas dazugeben, wir außerdem noch ein paar Rheinberger, die heute leider nicht kommen konnten, um einen Beitrag bitten, dann haben wir ruck-zuck ein gar erkleckliches Sümmchen parat, um mit Zins und Zinseszins die nächsten 600 Jahre Bildungs- und Studienförderung in Rheinberg zu betreiben!

Wenn wir dann noch den Nachfolger des Amplonius in der Leitung der Universität Erfurt, Herrn Prof. Dr. Brodersen (den ich hier ganz herzlich begrüßen möchte!), dafür gewinnen könnten, sich dieser neuen Amplonianischen Stiftung auf die eine oder andere Weise anzuschließen (könnte es nicht z. B. die Möglichkeit geben, einen/mehrere Studenten aus Rheinberg besonders zu fördern?), dann würde aus unserem heutigen Gedenken an Vergangenes eine neue Perspektive für Zukünftiges werden.

Keine Angst: ich werde nicht gleich mit meinem Hut am Ausgang stehen und Geld einsammeln. Ich denke, Sie, liebe Festgemeinde, sollten darüber in Ruhe nachdenken, und ich verspreche Ihnen hier und heute, den Gedanken weiterzuverfolgen und zu realisieren.

Lassen Sie uns also gemeinsam versuchen, die Amplonianischen Stiftung NEU aufzulegen! Zum Lob und Angedenken an den „Ersame Her Amplonius Ratinck van Berke in den vryen kunsten Meister ind der kunsten van artzedyen Doctoir“ [2]

Danke.



[1] Mittheilungen des Vereins für die Geschichte und Alterthumskunde von Erfurt, 9. Heft: Urkunden zur Geschichte des Amplonius de Fago II, Erfurt 1880, S. 139

[2] Mittheilungen des Vereins für die Geschichte und Alterthumskunde von Erfurt, 9. Heft: Urkunden zur Geschichte des Amplonius de Fago II, Erfurt 1880, S. 137