1. Mai 1412

1. Mai 1412, der entscheidende Tag. Es ist der Sonntag Kantate: „Cantate Domino canticum novum.“ Der ehrwürdige Herr Magister Amplonius de Berka, Arzt und Chorbischof (Chorepiscopus) der Kirche der Hl. Apostel zu Köln, geboren um 1365 im niederrheinischen Rheinberg, damals kurkölnische Stadt und Zollstätte an der Grenze zu den Territorien der Grafen von Kleve-Berg und der Grafen von Moers, tut heute etwas Erstaunliches „… quia mirabilia fecit.“

Amplonius hat zur Stunde der Vesper in seinem Wohnhaus in St. Aposteln zu Köln, wo er zur Leitung des Stifts gehört, fünf Männer aus seinem engsten Umfeld um sich versammelt: seinen leiblichen Bruder Petrus Ratingk de Berka, Kanoniker und Inhaber einer Pfründe an St. Aposteln, die beiden Verwandten Gerhard von Berka, Vikar an St. Maria im Kapitol in Köln, und Johannes Wissen, Pastor in Lünen im Erzbistum Köln und eine Zeit lang Kopist im Dienste des Amplonius, sowie den Dekan des Stiftes St. Aposteln, Magister Johannes de Stummel. Dazu als öffentlicher Notar „kraft kaiserlicher Vollmacht“ der Mainzer Kleriker Hartung Pletzichen de Rodenberg.

Sie alle werden Zeugen eines Rechtsaktes: Amplonius Ratingk de Berka, bedeutender Mediziner, Universitätslehrer und Kirchenmann seiner Zeit, stiftet seine schon damals legendäre Bibliotheca Amploniana – kein Privatmann nördlich und wahrscheinlich auch nicht südlich der Alpen besitzt zu dieser Zeit (also lange vor der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern) eine größere und intellektuell anspruchsvollere Bibliothek als er! – der von ihm an der Universität Erfurt eingerichteten und mit seinem Vermögen finanzierten Studienstiftung, dem Collegium Amplonianum – so benannt nach dem Stifter – oder Collegium Porta Coeli (Zur Himmelspforte) – so benannt nach dem von der Stadt Erfurt gestifteten und auf ewige Zeiten von allen Lasten und Abgaben befreiten Haus in der Michaelisstraße zu Erfurt.

Der Mensch des Mittelalters ist aufgefordert, Gutes zu tun. Almosen können vor der ewigen Verdammnis retten, gute Werke bereiteten auf das Leben im Jenseits vor. Es geht dem Menschen darum, sein Seelenheil zu retten. Die Angst um die Seele ist tiefsitzend und existentiell; um sie zu verkleinern, werden große Anstrengungen, zum Beispiel in Form von frommen Schenkungen und Stiftungen „pro remedio animae“ (d.h. für das Heil der Seele), unternommen.

Amplonius de Berka ist anno 1412 fast 50 Jahre alt und er tut jetzt einen enormen Schritt in Richtung Rettung seines Seelenheils: er stiftet! Was seine Stiftung so außergewöhnlich macht und aus den anderen Stiftungen herausragen läßt, ist die dazugehörige Schenkung seiner Bibliothek. Bereits 1410 hat Amplonius seinen Schatz, seine riesige Büchersammlung, akribisch in einem handgeschriebenen Catalogus Librorum inventarisiert, jetzt übereignet er seine hochberühmte private Bibliothek dem von ihm gestifteten Kolleg. Im Falle des Amplonius haben wir es also mit einer auf Dauer angelegten Stiftung (eines Studienkollegs) und gleichzeitig mit einer großzügigen und weitsichtigen Schenkung (an die Stiftung) zu tun!

Mit seiner Stiftung, die er später, am 22. September des Jahres 1423, nach einem erbitterten Streit mit der Stadt Erfurt, in einem auf deutsch verfaßten Brief erneuert, und 1433 in Form eines Testaments letztmalig verfügt, verfolgt Amplonius, ganz Kind seiner Zeit, natürlich das eigene Seelenheil und die Rettung vor der ewigen Verdammnis. Gleichzeitig gelingt ihm so die Sicherung seines eigenen gesellschaftlichen Status, die Bewahrung seiner kostbaren Sammlung über die Zeiten hinweg bis zum heutigen Tage, und durch seine großzügige Förderung des Gemeinwohls sowie seine weitsichtige, über Jahrhunderte fortdauernde Unterstützung von Bildung und Wissenschaft macht er sich einen unsterblichen Namen.

April 2024

Das heutige Amplonius-Gymnasium ist aus der ehrwürdigen Lateinschule Rheinbergs entstanden und hat bis zur heutigen Struktur verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen. Die April-Seite des Kalenders 2024 zeigt vier davon:

Bis 1911 weist der Rheinberger Markt eine geschlossene Bebauung zur St. Peter-Kirche hin auf. Die alte Lateinschule (Photo oben links) liegt rechts vom Durchgang zwischen Markt und Kirche und grenzt fast unmittelbar an das Bürgerhaus „Zum Weißen Raben“ (Aumund). Das Gebäude wird 1919 abgerissen. Da hat die „schola berkensis“ bereits seit einigen Jahren ihre Tore geschlossen. 1889, nach ungefähr 600-jährigem Bestehen, wird der Unterricht an der Lateinschule eingestellt; von nun an werden begabte Rheinberger Schüler durch Geistliche der Kirchengemeinde St. Peter privat unterrichtet. Bis es 1903 auf Drängen der Rheinberger Bürger zur Neugründung der Schule als private Rektoratschule mit humanistischer Lehrverfassung in der Trägerschaft der katholischen Kirchengemeinde St. Peter kommt. Erster Schulleiter wird der gerade zum Priester geweihte, 26-jährige Kaplan Aloys Wittrup aus Everswinkel in Westfalen. Mit acht Schülern beginnt am 1. Oktober der Unterricht im Hause van Elsbergen an der Kamper Straße (Photo oben rechts).

Bis die Rektoratschule ihr endgültiges Gebäude an der Dr. Aloys-Wittrup-Straße beziehen kann, ist sie an verschiedenen Standorten untergebracht: 1905 erfolgt der Umzug von der Kamper Straße in ein von der katholischen Pfarrgemeinde an der Goldstraße errichtetes Gebäude. Die Schule hat da bereits 43 Schüler in drei Klassen. Zum 1. Januar 1912 wird die Rektoratschule auf den städtischen Etat unter Wahrung ihres katholischen Charakters übernommen.

1929 kommt es bei den Schülerzahlen der Rektoratschule zu einem Einbruch. Durch die Einrichtung von Mittelschulen in Orsoy und Kamp-Lintfort geht die Zahl der auswärtigen Schüler dramatisch zurück. Die Verschmelzung der Rektoratschule Alpen mit der in Rheinberg ermöglicht wieder einen geregelten Unterricht (auch in wirtschaftlicher Hinsicht). Doch erst durch die Erbauung des Konvikts St. Josef durch die Pallottiner-Kongregation aus Limburg wird die Rheinberger Rektoratschule gerettet. In Rheinberg entsteht an der Lützenhofstraße ein für damalige Verhältnisse modernes Schülerheim und die Rektoratschule unter Dr. Aloys Wittrup und das Konvikt St. Josef, geleitet von Pater Otto Eisenbarth, arbeiten von nun ab eng zusammen. Es entwickelt sich ein für die ländliche Bevölkerung interessantes Schulangebot und die Unterbringungsmöglichkeiten im Internat erlauben nunmehr auch der ländlichen Jugend aus der näheren und weiteren Umgebung Rheinbergs den Zugang zur Weiterbildung: die Heimschüler des Pallottiner Konvikts besuchen die städtische Rektoratschule. Die Schülerzahl steigt auf 118 (38 Rheinberger, 80 Auswärtige). In der Folge wird das Gebäude in der Goldstraße zu klein; es erfolgt ein Umzug der Rektoratschule ins Konvikt St. Josef an der Lützenhofstraße.

März 2024

Initiale C aus der Matrikel der Universität Erfurt. Im Hintergrund ist die Festung Rheinberg abgebildet. – Für Berka, seine Heimatstadt, sorgt Amplonius 1433 in besonderem Maße. In einer „Sonderstiftung Lateinschule Rheinberg“ schenkt er der Stadt Rheinberg 300 Goldgulden mit der Maßgabe, die Lateinschule davon zu unterhalten und einen Rektor zu besolden, der den möglichen Kandidaten der Stiftung das erforderliche Rüstzeug für das Studium in Erfurt vermitteln soll. D.h. mit heutigen Begriffen gesprochen: die Schüler der Lateinschule sollen durch den qualifizierten und zielführenden Unterricht an ihrer Bildungsanstalt die Hochschulreife erlangen und fit gemacht werden für den Einstieg in die akademische Welt. Bürgermeister, Rat und Stadt schwören am 20. April 1433 feierlich, dem „Ersame Her Amplonius Ratinck van Berke in den vryen kunsten Meister ind der kunsten van arztedyen Doctoir onse medeburger“, sich „allewege tot ewigen tyden eynen schoelmeyster halden onse kinder to leeren in kunsten ind seden, willich schoelmeister sal syn eyn meister in den vryen kunsten, ein waill geleert meister und erber van leven van der hogen scholen van Erfforde ind van den Collegio vorschreven.“

Februar 2024

Aus dem Bücherschatz des Amplonius: „Viaticum peregrinantis, Lanfrancus Mediolanensis, Chirurgia maior und Chirurgia minor etc.“ (UB Erfurt, Dep. Erf., CA 4° 174). Initiale S und Lesepult nebst Stuhl mit der Umschrift „Amplonius de Berka“. – Um 1365 wird Amplonius in Rheinberg geboren. Die Familie lebt im „Haus zu den drei Fischen“ in der heutigen Underbergstraße, damals Marktstraße. Der Doktor der Medizin, Rektor der Universitäten Erfurt (1394/95) und Köln (1399), Leibarzt mehrerer Erzbischöfe, Chorbischof von St. Aposteln zu Köln und gelehrter Büchersammler wird für seine Vaterstadt wichtig durch seine großzügige Stiftung, die er am 1. Mai 1412 beurkundet: jeweils 9 Schüler der Rheinberger Lateinschule können durch die Stiftung des Amplonius in der „Himmelspforte“ in Erfurt unentgeltlich wohnen, an der Universität kostenlos studieren und – besonders wichtig! – die umfangreiche Bibliothek des Stifters nutzen.

Januar 2024

Die abgebildete Initiale entstammt dem „Liber Problematum Aristotelis secundum speciem compilacionis“ (um 1290 geschriebenes Manuskript in der „Bibliotheca Amploniana“ – UB Erfurt, Dep. Erf. CA. 2° 263). Die hier abgebildet Initiale D zeigt einen Lehrer mit seinen Schülern. – Schüler und Lehrer gibt es in Rheinberg schon im Jahr 1337. In diesem Jahr wird Rheinbergs Lateinschule erstmals urkundlich erwähnt. In einer Urkunde zum Ankauf eines Hauses für die Abtei Kamp wird der „rector scholarium“ als Zeuge erwähnt: Wiricus ist der erste in einer langen Reihe von Schulleitern. In einer Urkunde aus dem Jahr 1388 erfahren wir, wo sich die Lateinschule befindet: „an der Steege“, die am Haus der Jungfer Sophia von Husen vorbeiführt.

Die Rheinberger Lateinschule, Keimzelle des heutigen Amplonius-Gymnasiums, zählt zu den ältesten Schulen im deutschen Sprachraum. Im Gegensatz zu den Stiftsschulen (z.B. in Xanten) handelt es sich bei der Lateinschule in Rheinberg um eine Lehranstalt in städtischer Trägerschaft (Ratsschule), wie verschiedene Stadtrechnungen und das Gelöbnis von Rheinbergs Bürgermeister und Magistrat vom 20. April 1433 belegen. Die Schule steht unter strenger Aufsicht durch den Magistrat. Einmal im Jahr führen Bürgermeister, Ratsherren und ein kirchlicher Vertreter eine Inspektion der Schule und eine Revision des Unterrichts durch. Für den/die Lehrer kann diese Besichtigung ernsthafte Konsequenzen bis zur Entlassung nach sich ziehen, sollten die Leistungen nicht den Anforderungen entsprechen.

Dezember 2012

Blatt aus einer Sammelhandschrift zur Astronomie, 1. Hälfte des 14. Jh., Italien (?), UB Erfurt, Dep. Erf. CA. 8° 84 Die Blätter 85 – 94‘ erhalten bei Schum den Titel „Alia collectio vaticiniorum“. Hier abgebildet ist „ein colorirter Engel in nicht gerade geschickter Ausführung“ (Schum).

Amplonius-Kalender 2024

Seit Beginn der Stiftung Amplonius NOVUS hat es jedes Jahr einen Kalender gegeben, der sich entweder mit der langen Geschichte des Amplonius-Gymnasiums beschäftigte oder Kunstwerke aus Schülerhand präsentierte. Einen ganz besonderen Schwerpunkt bildeten daneben immer wieder Kalender, die
bemerkenswerte Details aus den handgeschriebenen Büchern der „Bibliotheca Amploniana“ vorstellten.
Während der Corona-Pandemie gab es keine gedruckten Exemplare, vielmehr konnten die Kalender auf der Homepage der Stiftung (www.amplonius-novus.de) online angesehen und kostenlos heruntergeladen werden.
Für das Jahr 2024 wird es erstmals wieder einen gedruckten Amplonius-Kalender geben. Thematischer Schwerpunkt ist wieder einmal das Amplonius-Gymnasium mit seiner interessanten Geschichte – die Lateinschule als Vorläuferschule des heutigen Gymnasiums wurde erstmals 1337 urkundlich erwähnt – , seiner Beziehung zu Amplonius de Berka, dem großartigen Büchersammler und Stifter sowie den zahlreichen Facetten des Schullebens.


So beginnt der Kalender mit einer Schmuck-Initiale aus der amplonianischen Büchersammlung (heute wie vor Jahrhunderten in Erfurt angesiedelt), die einen Lehrer mit seinen Schülern zeigt. Einen direkten Hinweis auf Amplonius gibt das Februar-Blatt mit der historischen Skizze eines mittelalterlichen Lesepultes nebst Stuhl und der Umschrift „Amplonius de Berka“. Und die Festung Berka auf einer
historischen Matrikel der Universität Erfurt gibt eine Ahnung davon, wie Rheinberg früher einmal ausgesehen haben mag (Monatsblatt März 2024).
Näher an der Gegenwart sind Photos von verschiedenen Schulgebäuden angesiedelt: die ehemalige Lateinschule am Großen Markt (1919 abgerissen), die Rektoratschule in der Goldstraße, das heutige Gebäude an der Dr. Aloys-WittrupStraße, das über die Jahrzehnte ständig erweitert und ergänzt wurde
(Monatsblatt für April 2024).
Dann sind da noch einige Bilder, die vom lebendigen Schulleben Zeugnis ablegen: Tag der Offenen Tür, Kulturveranstaltungen wie z.B. eine Musical-Aufführung, Schüleraustausch (mit Suchbild) und Abiturientenspaß … Mehr soll an dieser Stelle aber nicht verraten werden!
Den Kalender (mit ausführlichen Erläuterungen zu den Abbildungen als Beilage) gibt es für nur 7 Euro. Mit dem Reinerlös aus dem Kalenderverkauf wird die Arbeit der Stiftung Amplonius NOVUS unterstützt.
Der Amplonius-Kalender wird – natürlich! – im Amplonius-Gymnasium verkauft: am Elternsprechtag (17. November) und beim „Advent am Amplonius“ (1. Dezember) wird der Stiftungsvorstand in der Schule anwesend sein, um sein Produkt an die Frau und an den Mann zu bringen. Ansonsten kann der Kalender
im Schulsekretariat erworben werden und selbstverständlich sind auch online-Bestellungen willkommen – der Kalender wird dann per Briefpost zugestellt (die Mail-Adresse für Bestellungen lautet: amplonius-novus@t-online.de).

November 2023

UB Erfurt, Dep. Erf., UB Erfurt, Dep. Erf. CA. 2° 14; 1. Hälfte d. 14. Jh., Entstehungsorte nach Schum „zum größeren Theil aus England, zum kleineren aus dem Süden“. – Der erste Texte der Sammelhandschrift ist ein Kommentar zu Ovids „Metamorphosen“; Schum notiert: „Ovidii metamorphoseon commentarius“. Der Text beginnt mit den Worten: „Ovidius in lib. metham. primo intencionem suam“.

Oktober 2023

Die abgebildete Seite für den Monat Oktober 2023 entstammt einem Sammelband mit Texten von und über Aristoteles, entstanden in der 2. Hälfle des 13. Jh. in Frankreich (UB Erfurt, Dep. Erf., UB Erfurt, Dep. Erf. CA. 2° 39)

Der erste Teil des Sammelbandes ist ein Werk des antiken Philosophen Porphyrios (* um 233 in Tyros; † zwischen 301 und 305 in Rom). Porphyrios setzt sich mit den Schriften des Aristoteles auseinander; die vorliegende Seite entstammt der „Isagoge“ (Schum: „ysagogas“) und beginnt mit den Worten: „Cum sit necessarium Grisarori (!) …“

Porphyrios verfaßt seine „Isagoge“ im 3. Jahrhundert; es handelt sich um eine Einführung in die Kategorien-Schrift des Aristoteles. Diese Einführung in die aristotelische Logik wird in der Spätantike und im Mittelalter als Standardwerk der Logik außerordentlich einflußreich.